Was muss man über die Risszähigkeit von Keramik wissen?

Wenn man die Eigenschaften von Technischen Keramiken beschreibt, wird in erster Linie über die Festigkeit gesprochen, genauer gesagt über die Biegefestigkeit. Keramiken haben allgemein ein sogenanntes „katastrophales Versagensverhalten“, was bedeutet, dass Keramiken bei mechanischer Beanspruchung plötzlich und ohne „Vorwarnung“ brechen. Dieses Verhalten kann gut durch die Bestimmung der Biegebruchfestigkeit im Biegeversuch dargestellt werden, wie es Anika Braun auf unserer Homepage sehr anschaulich beschrieben hat.

Der Bruch einer Keramik erfolgt spontan. Prüft man in dieser Versuchsanordnung Metalle oder Kunststoffe, so sieht man, dass die Proben sehr deutlich verformt werden, bevor sie versagen.

Vergleicht man die Festigkeit und den Verlauf der Kraft-Verformungs-Kurve von verschiedenen Keramiken, so sieht man sehr deutliche Unterschiede: Eine Keramik mit relativ geringer Festigkeit (ca. 50 MPa) ist z.B. Cordierit, eine technische Keramik die auf Grund ihrer sehr geringen Thermischen Dehnung gerne für temperaturwechselbeanspruchte Anwendungen genutzt wird (z.B. Katalysatorträger im Auto). Eine Keramik mit deutlich höherer Festigkeit ist Aluminiumoxid (ca. 350 MPa), die z.B. als Dichtscheibe oder elektrischer Isolator eingesetzt wird. Eine nochmals deutlich höhere Festigkeit wird mit einer Zirconiumoxidkeramik erreicht, Biegefestigkeiten von über 1200 MPa sind möglich. Anwendung findet sie häufig in Dentalkeramiken (Kronen und Brücken) oder Implantaten.

Gerade wenn es um eine dynamische Belastung geht, reicht die Messung der Biegefestigkeit nicht mehr aus. In der Realität werden Bauteile oftmals bis zu einem gewissen Maß belastet und dann wieder entlastet und das viele Tausend oder Millionen Mal. Wenn man das Beispiel eines Implantates z.B. für menschliche Hüftgelenke betrachtet, erfolgt mit jedem Schritt eine Schlagbelastung auf den Gelenkkopf. Keiner dieser Schläge übersteigt die Festigkeit der ZrO2-Keramik, gerechnet auf eine Dauer von z.B. 20 Jahren und einer täglichen Schrittanzahl von 4000 Schritten liegt die Belastung aber bei über 29 Millionen „Schlägen“. Hier muss ein neuer Kennwert genutzt werden, wofür sich im Bereich der Keramik die Risszähigkeit bewährt hat.

Die Zerstörung von Keramiken erfolgt durch Risse in ihrem Inneren. Ausgangspunkt sind Fehlstellen, die z.B. durch Formgebung, Trocknen oder Sintern erzeugt wurden. Bei Belastung von Keramiken wachsen diese Risse. Belastungen können Kaubewegungen in Dentalkeramiken, das Gehen mit Hüftimplantaten oder Temperaturwechsel von Keramiken z.B. in Müllverbrennungsanlagen sein. Unter definierten Bedingungen stellt man solche Belastungen im Biegeversuch nach, bei dem die Kraft so weit gesteigert wird, bis die Keramik zerbricht. Wird lediglich eine Kraft aufgewendet, die die Keramik nicht vollständig zerstört, spricht man von einer unterkritischen Belastung. Bei genauer Betrachtung kann man jedoch feststellen, dass solche Belastungen vorhandene Risse weiter wachsen lassen. Hierbei spricht man von unterkritischem Risswachstum. Es gibt einen Schwellenwert, ab dem die Risslänge zu einem Zerstören der Keramik führt, dieser Wert wird als kIC-Wert bezeichnet. Andere Begriffe hierfür sind der „kritische Spannungsintensitätsfaktor“ oder die „Risszähigkeit“. Dieser Wert wird mit einer Zahl angegeben, die typischerweise zwischen 0,5 und ca. 20 liegt, die Einheit ist MPa m-0,5. Keramiken, die hohe Risszähigkeiten aufweisen, sind ZrO2 oder Siliciumnitrid. Faserverstärkte Keramiken haben auf Grund ihres Aufbaus nochmals höhere Risszähigkeiten.

Zur Prüfung der Risszähigkeit stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl:

Eine sehr einfache aber auch sehr unpräzise Methode, um den kIC-Wert zu ermitteln, besteht darin, dass man die Vickershärte misst. Dabei wird eine pyramidenförmige Diamantspritze in die Oberfläche einer Probe gedrückt. Die Härte wird über den Querschnitt des Eindrucks abgeleitet. Um eine Aussage über die Risszähigkeit zu erhalten, kann man die Risslängen in den Ecken des Eindruckes vermessen und über eine Formel den kIC-Wert berechnen. In der folgenden Abbildung ist ein solcher Härteeindruck in einer Al2O3-Keramik zu sehen: es ist gut erkennbar, dass die Risse an den 4 Ecken des Eindruckes unterschiedlich lang sind und die Bestimmung ihrer korrekten Länge sehr schwierig ist. Der Messfehler ist also groß. Zudem stehen zur Umrechnung der Risslängen in den kIC-Wert verschiedene Formeln zur Verfügung.

Quelle: Mussler, B., Swain, M. V. und Claussen, N. (1982) „Dependence of Fracture Toughness of Alumina“, Journal of the American Ceramic Society, 65(11), S. 566–572.

WZR setzt bei der Ermittlung der Risszähigkeit auf eine etwas aufwändigere aber um ein Vielfaches präzisere Methode. Messgrößen sind die Härte, der E-Modul, die Festigkeit sowie die Festigkeit nach einer definierten Schädigung der Probe. Gerade bei dieser „definierten Schädigung der Probe“ gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten. Auch hierzu wurde in der Literatur sehr viel beschrieben. WZR hat in der Vergangenheit Versuchsreihen durchgeführt, um die Schwankung der Messwerte mit den verschiedenen Schädigungsmethoden zu bewerten. Sehr konstante Ergebnisse bei vergleichsweise geringem Aufwand konnten dadurch erhalten werden, dass die Probe vor Messung der Biegefestigkeit mit einem Vickerseindruck geschädigt wird. Diese Methode wird mit ISB abgekürzt, was für „Indentation/Strength in Bending“ steht.

Vergleicht man die kIC-Werte verschiedener Keramiken (siehe folgende Tabelle), so sieht man, dass spröde Keramiken wie Aluminiumoxid einen relativ geringen kIC-Wert haben, hoch belastbare Keramiken wie Zirconiumoxid oder Siliciumnitrid jedoch sehr hohe kIC-Werte besitzen. Grundsätzlich gilt: Je höher der kIC-Wert, desto schadenstoleranter ist der Werkstoff. Ist also die Schadenstoleranz ein wichtiger Kennwert für ein Bauteil (wie am Beispiel des Hüftgelenks), so kann durch Vergleich der kIC-Werte unterschiedlicher Keramiken ein passender Werkstoff identifiziert werden.

Quelle: Kollenberg, W. (2009): Technische Keramik, Vulkan Verlag

Literaturangaben und Werte in den Datenblättern der Hersteller basieren immer auf den jeweiligen Rohstoffen, Herstellungsparametern und Sinterbedingungen. Ändert sich an diesen Parametern etwas, wird z.B. ein alternativer Rohstoff eingesetzt oder die Produktion von Spritzguss auf axiales Pressen umgestellt, so hat dies Auswirkungen auf die Risszähigkeit. WZR bietet die Prüfung von Werkstoffen als unabhängiger Dienstleister an, der nach DIN ISO 9001:2015 zertifiziert ist. Neben der Bestimmung von Messwerten bieten wir unseren Kunden auch die Unterstützung bei der Interpretation der Messwerte an.

Schließlich liegen die Messwerte manchmal unter Verwendung des gleichen Rohstoffes außerhalb des Erwartungsbereiches oder weisen eine unerwartete Streuung auf. Hier unterstützen wir Sie gerne bei der Ursachenfindung im Herstellungsprozess und helfen bei der Optimierung der Abläufe, um eine Verbesserung der Risszähigkeit zu erreichen.

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